Nur Einstimmigkeit und Freiwilligkeit können eine Besteuerung rational rechtfertigen
Antony P. Mueller
Besteuerung ist Teil der Gesellschaftspolitik geworden
Mit der Ausweitung des Staatsbudgets der Industriestaaten von weniger als fünfzehn Prozent zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den heute weithin verbreiteten rund fünfzig Prozent, hat auch die Abgabenlast entsprechend zugenommen. Die Triebfeder dieser Entwicklung sind die Sozialausgaben. Mit der Verbreitung der Parteiendemokratie ist die gesamte Politik zur Gesellschaftspolitik geworden.
QuelleIn der Bundesrepublik Deutschland sind die Steuereinnahmen des Bundes laufend gestiegen und haben sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Gleichzeitig wird der originäre Bereich der Staatstätigkeit – äußere, innere und rechtliche Sicherheit - immer mehr vernachlässigt. Die Steuereinnahmen des Staates werden sachfremd ausgegeben und es wird durchgehend schlecht gewirtschaftet. Viele Gelder versickern und Ausgaben werden parteipolitisch missbraucht.
Das Steuerrecht ist immer
komplizierter geworden. Ständig werden neue Steuern und Abgaben erfunden. Ungeachtet
des hohen Steueraufkommens nimmt die weiter zu Staatsverschuldung zu.
Immer mehr dominieren
die vormals als Nebenzwecke bezeichneten nicht fiskalischen Ziele die
Steuerpolitik. Die Steuerzwecke umfassen inzwischen das gesamte Spektrum der
wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Anliegen, die sich nach Belieben
unterteilen lassen, sodass diese von wohnungspolitischen bis kulturpolitischen,
von raumordnungspolitischen bis zu konjunkturpolitischen Zwecken reichen. Um
das Fass vollzumachen, haben sich nunmehr noch die klima- und umweltpolitischen
Zielsetzungen hinzugesellt, wobei es inzwischen so ist, dass sich alle anderen
Ziele an der Klimapolitik ausrichten sollen.
Steuerpolitik ist
heute Teil der Gesellschaftspolitik, in die alles hineingepackt wird, was der
jeweiligen politischen Opportunität entspricht. Wegen der dem Steuerrecht
fälschlicherweise zugeschriebenen leichten Handhabbarkeit und Geschmeidigkeit
glauben die Regierenden, in der Bestteuerung ein geeignetes Instrument der
politischen Zielverfolgung zu besitzen. Die Besteuerung dient als Handhabe,
Sondergruppen Vorteile in Aussicht zu stellen oder die eigenen ideologischen
Ziele in den Vordergrund zu stellen.
Widersprüchlichkeiten im Steuerrecht
Der politische
Vorteil der Besteuerung besteht darin, dass man die Vorteilsgewährung den
Zielgruppen deutlich machen kann, während die tatsächlichen Kosten verdeckt
bleiben. So befriedigt man die vom Klima- und Umweltschutz begeisterten Wähler
mit einer Steuer, die diesen Namen trägt und entsprechend die beabsichtigte
Wirkung postuliert wird, während ihre tatsächliche Wirkung, gerade wenn sie das
Gegenteil zur Folge hat, unterschlagen wird.
So präsentiert sich
heute das Steuerrecht in einer verwirrenden Vielfalt und
Widersprüchlichkeit. Dahinter steht der Irrglaube, man hätte mit der
Steuer ein Medium zur Hand, das die maßgerechten Anpassungen an die einzelnen
gesellschaftlichen Anforderungen erlaube und geeignet sei, spezifisch
Ungerechtigkeiten zu beseitigen und die Gesamtwohlfahrt zu fördern. Darüber
hinaus zeugt die Handhabung des Steuerrechts – nicht zuletzt beim sogenannten
Klimaschutz – von der Täuschung, die Wissenschaft sei imstande, passgenaue
Prognosen über komplexe Sachverhalte abzugeben.
Diese falschen
Vorstellungen führen dazu, dass das moderne Steuersystem irrational und
prinzipienlos geworden ist.
Fehlende Begründung der Besteuerung
Alle Bemühungen der
Theorie der öffentlichen Finanzen haben es nicht geschafft, eine ausreichende
Begründung für die heute übliche Weise der Steuererhebung zu liefern. Die
meisten theoretischen Darstellungen erschöpfen sich in Klassifikationen und die
empirischen Untersuchungen zeigen widersprüchliche Ergebnisse. Weder vonseiten
der Jurisprudenz noch von der wirtschaftswissenschaftlichen Finanztheorie ist
es gelungen, Steuerprinzipien von universeller Gültigkeit zu erstellen. Was
bleibt, ist die Feststellung, dass die derzeit übliche Form der Steuererhebung
auf Macht beruht und weitgehend in Willkür besteht.
Nach den
Grundsätzen der Staatstheorie aber bedarf es sowohl für die Besteuerung als
auch für die Art ihrer Erhebung der Rechtfertigung. Die Steuererhebung, wenn
sie nicht bloße Willkür oder Ausdruck des politischen Machtspiels sein soll,
braucht Steuergrundsätze, wobei diese Prinzipien logisch der
Steuerrechtfertigungslehre entsprechen müssen. Bei Steuern und Abgaben handelt es
sich um einen der tiefsten Staatseingriffe, denn ihre Erhebung ändert nicht nur
die Form der Wirtschaftsaktivität, sondern bestimmt auch die Verteilung der Abgabenlast
und ändert somit die Einkommens- und Vermögensverteilung.
Konventionelle Grundsätze der Besteuerung
Von Anfang an hat
sich die Öffentliche Finanzwissenschaft bemüht, Kriterien der sogenannten
„Steuergerechtigkeit“ zu finden. Bei der Steuerrechtfertigungslehr haben sich
das „Leistungsfähigkeitsprinzip“ und das „Äquivalenzprinzip“ als die
wichtigsten Ansätze herausgebildet. Es ist bezeichnend, dass den Vertretern des
jeweiligen Prinzips die Widerlegung des Gegenprinzips jeweils besser gelingt,
als den eigenen Grundsatz zu rechtfertigen.
Dem
Leistungsfähigkeitsprinzip liegt die Vorstellung zugrunde, dass die
Steuererhebung der Finanzierung des Gemeinwohls zu dienen hat. Entsprechend
sollen die Gesellschaftsmitglieder Opfer erbringen, die gerechterweise nach der
jeweiligen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu bemessen seien. Im
Unterschied dazu ist das Äquivalenzprinzip darauf ausgerichtet, dass die
Besteuerung am Grundsatz der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung zu
orientieren sei.
Das
Leistungsfähigkeitsprinzip scheitert daran, dass man das „gerechte Opfer“ nicht
bestimmen kann. Welche Besteuerung ist gerecht? Die nach dem Grenzopfer, dem
gleichen absoluten Opfer oder dem gleichen proportionalen Opfer? Die Modelle
der Rechtfertigung scheitern selbst unter der Annahme, das subjektive Opfer sei
marginal sinkend vom Einkommen abhängig, man könne intersubjektive
Nutzenvergleiche anstellen und dass für alle Steuerzahler die gleiche marginale
Nutzenkurve gelte. Nach dem Äquivalenzprinzip kann weder die Finanzierung des
Gemeinwohls begründet werden noch eine zielgerechte Umverteilungspolitik.
Die Anwendung eines
Progressionstarifs ergibt sich logischerweise aus der Annahme des gleichen
marginalen Opfers, wohingegen sich ein proportionaler Steuertarif ergäbe, wenn
man vom gleichen proportionalen Opfer ausgehen würde. Unter der Annahme eines
gleichen absoluten Opfers und konstantem Grenznutzenverlauf käme man sogar zur
Forderung nach einem regressiven Steuerverlauf.
Prinzip der Eistimmigkeit und Freiwilligkeit
Gibt es rationale Gründe, diese Belastung der Bürger zur rechtfertigen? Oder sollte nicht vielmehr Einstimmigkeit und Freiwilligkeit bei der Festlegung der Besteuerung herrschen?
Bei Befolgung des
„Äquivalenzprinzips“ wäre jede Umverteilungspolitik zurückzuweisen. Die
Zurechnungsprobleme, die bei der Anwendung dieses Prinzips in der Praxis
auftauchen, haben zu dem Grundsatz der Einstimmigkeit geführt, wie er
maßgeblich in den „Finanztheoretischen Untersuchungen“ (1896) vom schwedischen Ökonomen Knut Wicksell (1851-1926) erarbeitet wurde.
Nach Wicksell besteht der entscheidende Vorteil des Äquivalenzprinzips darin, sowohl
die Abgaben als auch die Ausgaben des Staates zu berücksichtigen. Der
Steuerzahler begleicht das, was er an öffentlichen Leistungen erhält. Wie
Wicksell zeigt, folgt daraus der Grundsatz der Einstimmigkeit.
Ob eine staatliche
Maßnahme mehr Nutzen als Nachteil erbringt, kann weder durch
Mehrheitsentscheidung noch durch Umfragen oder sozio-ökonomische Untersuchungen
bestimmt werden. Jedwede Staatstätigkeit ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie
einstimmig von den Betroffenen bewilligt wird.
Man kann den
Gesamtnutzen nicht abseits des individuellen Nutzens bestimmen: "Ist jener Nutzen für die einzelnen
Mitglieder der Gesamtheit gleich Null, so wird auch der Gesamtnutzen nicht von
Null verschieden sein können." (S. 82) Wenn keine Einstimmigkeit vorliegt, so Wicksell in seinen
„Finanztheoretischen Untersuchungen“ (S. 113 f.), „so liegt …. ein
aposteriorischer und der einzig mögliche Beweis vor, dass die fragliche
Staatstätigkeit der Gesamtheit doch nur einen, dem notwendigen Opfer nicht
entsprechenden Nutzen bringen würde.“ Wenn keine Einstimmigkeit vorliegt,
muss die jeweilige Staatstätigkeit vernünftigerweise verworfen werden. „Die Einstimmigkeit und volle Freiwilligkeit der
Beschlüsse ist zuletzt die einzige sichere und handgreifliche Garantie gegen
Ungerechtigkeiten der Steuerverteilung; solange sie auch nicht annäherungsweise
erfüllt ist, schwebt eigentlich die ganze Diskussion über Gerechtigkeit der
Besteuerung in der Luft.“
(S. 114)
Mit dem Prinzip der
Einstimmigkeit hat die Finanztheorie klar das einzig mögliche Vernunftkriterium
für die Gerechtigkeit der Steuerlast bestimmt. Das wechselseitige Einvernehmen
über die Beschlüsse dient als Garantie gegen ungerechtfertigte
Steuerlastverteilung. Nicht nur das: Einstimmigkeit und Freiwilligkeit wären
auch ein wirksamer Damm gegen die Ausgabenflut und damit gegen die um sich
greifende Steuer- und Abgabenbelastung gewesen, wie sie sich seit dem Beginn
des 20. Jahrhunderts Bahn gebrochen hat.
Abwehr der Steuer- und Abgabenflut
Es wäre eine
Illusion zu glauben, die Nettoempfänger von heute wären weniger eigennützig als
die früheren Machthaber. Es ist vielmehr so, dass sich die Tendenz zum
Nettoempfang ausweitet, wenn das das Kriterium der Einstimmigkeit fehlt und man
der Mehrheitswahl folgt.
Was Knut Wicksell
in seinen „Finanztheoretische Untersuchungen“ (S. 122) kurz vor dem Ende des
19. Jahrhunderts vorausgesehen hat, ist heute offensichtlich geworden:
„Wenn einmal die unteren Klassen definitiv in den Besitz der
gesetzgebenden und steuerbewilligenden Gestalt gelangt sind, wird … die Gefahr
vorliegen, dass sie eben so wenig eigennützig verfahren werden, wie die
Klassen, welche bisher die Macht in den Händen hatten“. Sie
werden „die Hauptmasse der Steuern den besitzenden Klassen auflegen
und dabei vielleicht in der Bewilligung der Ausgaben, zu deren Bestreitung sie
selbst nunmehr nun wenig beitragen, so sorglos und verschwenderisch verfahren,
dass das bewegliche Kapital des Landes bald nutzlos vergeudet und damit die
Hebel des Fortschritts zerbrochen sein werden.“
Die seit dem Ende
des 19. Jahrhunderts zunehmende Demokratisierung und die sie begleitende
Herausbildung des Parteienwesens haben dazu geführt, dass der Damm gebrochen
ist. Inzwischen liegt die Mehrheit, die über die Staatsausgaben entscheidet, in
der Hand derer, die zu ihrer Finanzierung nichts oder nur wenig beitragen. Der
Umfang der Nettozahler ist geschrumpft, während die Zahl der Nettoempfänger
immer mehr gestiegen ist.
Immer mehr steht einer
wachsenden Zahl von Leistungsempfängern eine geringer werdende Anzahl von
Leistungserbringern gegenüber. Mit dieser Entwicklungsrichtung ruiniert sich
das System von selbst und wandert unaufhaltsam auf dem Kollaps zu.
Überarbeiteter Auszug aus: "Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik" (KDP 2021)