Saturday, June 4, 2022

Besteuerung

 Nur Einstimmigkeit und Freiwilligkeit können eine Besteuerung rational rechtfertigen

Antony P. Mueller

Besteuerung ist Teil der Gesellschaftspolitik geworden

Mit der Ausweitung des Staatsbudgets der Industriestaaten von weniger als fünfzehn Prozent zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu den heute weithin verbreiteten rund fünfzig Prozent, hat auch die Abgabenlast entsprechend zugenommen. Die Triebfeder dieser Entwicklung sind die Sozialausgaben. Mit der Verbreitung der Parteiendemokratie ist die gesamte Politik zur Gesellschaftspolitik geworden. 

Quelle

In der Bundesrepublik Deutschland sind die Steuereinnahmen des Bundes laufend gestiegen und haben sich in den letzten 20 Jahren verdoppelt. Gleichzeitig wird der originäre Bereich der Staatstätigkeit – äußere, innere und rechtliche Sicherheit - immer mehr vernachlässigt.   Die Steuereinnahmen des Staates werden sachfremd ausgegeben und es wird durchgehend schlecht gewirtschaftet. Viele Gelder versickern und Ausgaben werden parteipolitisch missbraucht.

Das Steuerrecht ist immer komplizierter geworden. Ständig werden neue Steuern und Abgaben erfunden. Ungeachtet des hohen Steueraufkommens nimmt die weiter zu Staatsverschuldung zu.

Immer mehr dominieren die vormals als Nebenzwecke bezeichneten nicht fiskalischen Ziele die Steuerpolitik. Die Steuerzwecke umfassen inzwischen das gesamte Spektrum der wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Anliegen, die sich nach Belieben unterteilen lassen, sodass diese von wohnungspolitischen bis kulturpolitischen, von raumordnungspolitischen bis zu konjunkturpolitischen Zwecken reichen. Um das Fass vollzumachen, haben sich nunmehr noch die klima- und umweltpolitischen Zielsetzungen hinzugesellt, wobei es inzwischen so ist, dass sich alle anderen Ziele an der Klimapolitik ausrichten sollen.

Steuerpolitik ist heute Teil der Gesellschaftspolitik, in die alles hineingepackt wird, was der jeweiligen politischen Opportunität entspricht. Wegen der dem Steuerrecht fälschlicherweise zugeschriebenen leichten Handhabbarkeit und Geschmeidigkeit glauben die Regierenden, in der Bestteuerung ein geeignetes Instrument der politischen Zielverfolgung zu besitzen. Die Besteuerung dient als Handhabe, Sondergruppen Vorteile in Aussicht zu stellen oder die eigenen ideologischen Ziele in den Vordergrund zu stellen.

 

Widersprüchlichkeiten im Steuerrecht

Der politische Vorteil der Besteuerung besteht darin, dass man die Vorteilsgewährung den Zielgruppen deutlich machen kann, während die tatsächlichen Kosten verdeckt bleiben. So befriedigt man die vom Klima- und Umweltschutz begeisterten Wähler mit einer Steuer, die diesen Namen trägt und entsprechend die beabsichtigte Wirkung postuliert wird, während ihre tatsächliche Wirkung, gerade wenn sie das Gegenteil zur Folge hat, unterschlagen wird.

So präsentiert sich heute das Steuerrecht in einer verwirrenden Vielfalt und Widersprüchlichkeit.  Dahinter steht der Irrglaube, man hätte mit der Steuer ein Medium zur Hand, das die maßgerechten Anpassungen an die einzelnen gesellschaftlichen Anforderungen erlaube und geeignet sei, spezifisch Ungerechtigkeiten zu beseitigen und die Gesamtwohlfahrt zu fördern. Darüber hinaus zeugt die Handhabung des Steuerrechts – nicht zuletzt beim sogenannten Klimaschutz – von der Täuschung, die Wissenschaft sei imstande, passgenaue Prognosen über komplexe Sachverhalte abzugeben.

Diese falschen Vorstellungen führen dazu, dass das moderne Steuersystem irrational und prinzipienlos geworden ist.

 

Fehlende Begründung der Besteuerung

Alle Bemühungen der Theorie der öffentlichen Finanzen haben es nicht geschafft, eine ausreichende Begründung für die heute übliche Weise der Steuererhebung zu liefern. Die meisten theoretischen Darstellungen erschöpfen sich in Klassifikationen und die empirischen Untersuchungen zeigen widersprüchliche Ergebnisse. Weder vonseiten der Jurisprudenz noch von der wirtschaftswissenschaftlichen Finanztheorie ist es gelungen, Steuerprinzipien von universeller Gültigkeit zu erstellen. Was bleibt, ist die Feststellung, dass die derzeit übliche Form der Steuererhebung auf Macht beruht und weitgehend in Willkür besteht.

Nach den Grundsätzen der Staatstheorie aber bedarf es sowohl für die Besteuerung als auch für die Art ihrer Erhebung der Rechtfertigung. Die Steuererhebung, wenn sie nicht bloße Willkür oder Ausdruck des politischen Machtspiels sein soll, braucht Steuergrundsätze, wobei diese Prinzipien logisch der Steuerrechtfertigungslehre entsprechen müssen. Bei Steuern und Abgaben handelt es sich um einen der tiefsten Staatseingriffe, denn ihre Erhebung ändert nicht nur die Form der Wirtschaftsaktivität, sondern bestimmt auch die Verteilung der Abgabenlast und ändert somit die Einkommens- und Vermögensverteilung.

 Konventionelle Grundsätze der Besteuerung

Von Anfang an hat sich die Öffentliche Finanzwissenschaft bemüht, Kriterien der sogenannten „Steuergerechtigkeit“ zu finden. Bei der Steuerrechtfertigungslehr haben sich das „Leistungsfähigkeitsprinzip“ und das „Äquivalenzprinzip“ als die wichtigsten Ansätze herausgebildet. Es ist bezeichnend, dass den Vertretern des jeweiligen Prinzips die Widerlegung des Gegenprinzips jeweils besser gelingt, als den eigenen Grundsatz zu rechtfertigen.

Dem Leistungsfähigkeitsprinzip liegt die Vorstellung zugrunde, dass die Steuererhebung der Finanzierung des Gemeinwohls zu dienen hat. Entsprechend sollen die Gesellschaftsmitglieder Opfer erbringen, die gerechterweise nach der jeweiligen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu bemessen seien. Im Unterschied dazu ist das Äquivalenzprinzip darauf ausgerichtet, dass die Besteuerung am Grundsatz der Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung zu orientieren sei.

Das Leistungsfähigkeitsprinzip scheitert daran, dass man das „gerechte Opfer“ nicht bestimmen kann. Welche Besteuerung ist gerecht? Die nach dem Grenzopfer, dem gleichen absoluten Opfer oder dem gleichen proportionalen Opfer? Die Modelle der Rechtfertigung scheitern selbst unter der Annahme, das subjektive Opfer sei marginal sinkend vom Einkommen abhängig, man könne intersubjektive Nutzenvergleiche anstellen und dass für alle Steuerzahler die gleiche marginale Nutzenkurve gelte. Nach dem Äquivalenzprinzip kann weder die Finanzierung des Gemeinwohls begründet werden noch eine zielgerechte Umverteilungspolitik.

Die Anwendung eines Progressionstarifs ergibt sich logischerweise aus der Annahme des gleichen marginalen Opfers, wohingegen sich ein proportionaler Steuertarif ergäbe, wenn man vom gleichen proportionalen Opfer ausgehen würde. Unter der Annahme eines gleichen absoluten Opfers und konstantem Grenznutzenverlauf käme man sogar zur Forderung nach einem regressiven Steuerverlauf.

 

Prinzip der Eistimmigkeit und Freiwilligkeit

Gibt es rationale Gründe, diese Belastung der Bürger zur rechtfertigen? Oder sollte nicht vielmehr Einstimmigkeit und Freiwilligkeit bei der Festlegung der Besteuerung herrschen?

Bei Befolgung des „Äquivalenzprinzips“ wäre jede Umverteilungspolitik zurückzuweisen. Die Zurechnungsprobleme, die bei der Anwendung dieses Prinzips in der Praxis auftauchen, haben zu dem Grundsatz der Einstimmigkeit geführt, wie er maßgeblich in den „Finanztheoretischen Untersuchungen“ (1896) vom schwedischen Ökonomen Knut Wicksell (1851-1926) erarbeitet wurde. Nach Wicksell besteht der entscheidende Vorteil des Äquivalenzprinzips darin, sowohl die Abgaben als auch die Ausgaben des Staates zu berücksichtigen. Der Steuerzahler begleicht das, was er an öffentlichen Leistungen erhält. Wie Wicksell zeigt, folgt daraus der Grundsatz der Einstimmigkeit.

Ob eine staatliche Maßnahme mehr Nutzen als Nachteil erbringt, kann weder durch Mehrheitsentscheidung noch durch Umfragen oder sozio-ökonomische Untersuchungen bestimmt werden. Jedwede Staatstätigkeit ist nur dann gerechtfertigt, wenn sie einstimmig von den Betroffenen bewilligt wird.

Man kann den Gesamtnutzen nicht abseits des individuellen Nutzens bestimmen: "Ist jener Nutzen für die einzelnen Mitglieder der Gesamtheit gleich Null, so wird auch der Gesamtnutzen nicht von Null verschieden sein können." (S. 82) Wenn keine Einstimmigkeit vorliegt, so Wicksell in seinen „Finanztheoretischen Untersuchungen“ (S. 113 f.), „so liegt …. ein aposteriorischer und der einzig mögliche Beweis vor, dass die fragliche Staatstätigkeit der Gesamtheit doch nur einen, dem notwendigen Opfer nicht entsprechenden Nutzen bringen würde.“ Wenn keine Einstimmigkeit vorliegt, muss die jeweilige Staatstätigkeit vernünftigerweise verworfen werden. „Die Einstimmigkeit und volle Freiwilligkeit der Beschlüsse ist zuletzt die einzige sichere und handgreifliche Garantie gegen Ungerechtigkeiten der Steuerverteilung; solange sie auch nicht annäherungsweise erfüllt ist, schwebt eigentlich die ganze Diskussion über Gerechtigkeit der Besteuerung in der Luft.“ (S. 114)

Mit dem Prinzip der Einstimmigkeit hat die Finanztheorie klar das einzig mögliche Vernunftkriterium für die Gerechtigkeit der Steuerlast bestimmt. Das wechselseitige Einvernehmen über die Beschlüsse dient als Garantie gegen ungerechtfertigte Steuerlastverteilung. Nicht nur das: Einstimmigkeit und Freiwilligkeit wären auch ein wirksamer Damm gegen die Ausgabenflut und damit gegen die um sich greifende Steuer- und Abgabenbelastung gewesen, wie sie sich seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts Bahn gebrochen hat.

Abwehr der Steuer- und Abgabenflut

Es wäre eine Illusion zu glauben, die Nettoempfänger von heute wären weniger eigennützig als die früheren Machthaber. Es ist vielmehr so, dass sich die Tendenz zum Nettoempfang ausweitet, wenn das das Kriterium der Einstimmigkeit fehlt und man der Mehrheitswahl folgt.

Was Knut Wicksell in seinen „Finanztheoretische Untersuchungen“ (S. 122) kurz vor dem Ende des 19. Jahrhunderts vorausgesehen hat, ist heute offensichtlich geworden:

Wenn einmal die unteren Klassen definitiv in den Besitz der gesetzgebenden und steuerbewilligenden Gestalt gelangt sind, wird … die Gefahr vorliegen, dass sie eben so wenig eigennützig verfahren werden, wie die Klassen, welche bisher die Macht in den Händen hatten“. Sie werden „die Hauptmasse der Steuern den besitzenden Klassen auflegen und dabei vielleicht in der Bewilligung der Ausgaben, zu deren Bestreitung sie selbst nunmehr nun wenig beitragen, so sorglos und verschwenderisch verfahren, dass das bewegliche Kapital des Landes bald nutzlos vergeudet und damit die Hebel des Fortschritts zerbrochen sein werden.“

Die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zunehmende Demokratisierung und die sie begleitende Herausbildung des Parteienwesens haben dazu geführt, dass der Damm gebrochen ist. Inzwischen liegt die Mehrheit, die über die Staatsausgaben entscheidet, in der Hand derer, die zu ihrer Finanzierung nichts oder nur wenig beitragen. Der Umfang der Nettozahler ist geschrumpft, während die Zahl der Nettoempfänger immer mehr gestiegen ist.

Immer mehr steht einer wachsenden Zahl von Leistungsempfängern eine geringer werdende Anzahl von Leistungserbringern gegenüber. Mit dieser Entwicklungsrichtung ruiniert sich das System von selbst und wandert unaufhaltsam auf dem Kollaps zu.

Überarbeiteter Auszug aus: "Kapitalismus, Sozialismus und Anarchie. Chancen einer Gesellschaftsordnung jenseits von Staat und Politik" (KDP 2021)

 

 

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